teil 7: der james bond-jesus-komplex

er war im zug, auf der rückfahrt aus der zukunftsstadt am bielersee in die bundeshauptstadt. der himmel draussen war stahl-weiss, die matt-weisse sonne in ihm kaum erkennbar. die landschaft war unter dunstig bläuliches grau getaucht. das blau des himmels war weggeäzt.
eine junge frau telefonierte mobil: für ihn belanglose worte, wann sie wo bei irgendwem eintreffe.
noch das fast nicht zu ertragende schrillen und quietschen des bahnhofs in den ohren, kämpfte er sich zu fuss von der grossen schanze richtung monbijou durch. er kniff die augen zu, das licht war irgendwie zu hell, zu weiss. keuchend atmete er das feinstaub-ozongasgemisch der stadt. er fand es war zu heiss, er fühlte sich überhitzt. es war später nachmittag. er stand am strassenrand wie an einem abgrund. rot. gleissend flimmernd unter hupen und gedröhn brandete ihm der autoverkehr entgegen.
unvermittelt entschloss er sich, einen abstecher in die altstadt zu machen. auf dem bärenplatz hatte irgend so eine jesus-vereinigung ihren stand aufgestellt und gleich drei ständeler versuchten ihm hintereinander die brochüre „ich bin der herr und das licht, wer an mich glaubt gelangt ins himmelreich“ anzudrehen. als er den zytglogge-kiosk passierte, las er den zeitungsaushang: „erhöhte sonnenprotuberanzen – alle 7 jahre“ und „ogi will für 1’000’000’000 sfr. 186 neue kampfpanzer – ja zur kleineren armee“. er steuerte auf die plattform zu. hatte man jetzt eine natel-antenne in den münsterturm eingebaut?, durchfuhr es ihn plötzlich. schliesslich ging er in eine bar. die frauen waren alle in grau gekleidet. die männer in schwarz und weiss oder grau. er nippte an einem kaffee. im fernseher wurde ein fussballer interviewt.

wie werde ich ein superheld? diese frage trieb ihn um seit er fünf war. es schien zur zeit im westen zwei vorherrschende muster zu geben: james bond und jesus. selbstverständlich lag jesus heute weit im hintertreffen. er wusste nur wenig – bruchstückhaftes – über den anscheinend reichlich skurrilen vertreter eines irrational geistigen prinzips. jesus hatte sehr einfach gelebt, war zu fuss oder auf dem esel herumgewandert und hatte verschiedene reden gehalten und wunder vollbracht, bis er verhaftet und hingerichtet wurde durch die statthalter des damaligen weltreichs. den hintergrund seiner vorschläge betreffend des menschlichen lebens und zusammenlebens bildete seines wissens folgende vorstellung: gott war eine allmächtige person jenseits der realität. eine realität, die er zwar geschöpft hatte, die zu seinem ruhm und seiner ehre da sein sollte, in der er seine existenz durch verschiedene vorkommnisse (z.b. visionen oder wunder) aufscheinen lassen konnte – wenn er nicht sogar ihren verlauf vollständig vorherbestimmt hatte -, die aber vollständig von ihm getrennt war. er selbst, jesus, mensch, gott oder gottmensch, war von gott gesandt worden, um die menschen von ihrer ewigen, schon immer dagewesenen schuld zu befreien. wer an ihn und gott glaubte, würde – nach dem tod – ins paradis kommen, ein jenseitiges land immerwährender glückseligkeit. die menschen standen immer in einer schuld. nur gott konnte dank seiner unendlichen gnade und barmherzigkeit – diese formulierung liess erahnen wie gross die menschliche schuld sein musste -, diejenigen erlösen, die an ihn glaubten oder die ein gottgefälliges, frommes leben führten. die regeln, die ein frommes leben ausmachten, konnten, je nach gesellschaft oder gruppe, verschieden sein und mehr oder weniger rigide gehandhabt werden.

machte james bond einen besseren eindruck? durch seine bloss mediale existenz war diese gestalt des zwanzigsten jahrhunderts ähnlich weit entrückt und abstrakt wie der zeitlich weit entfernte jesus. wie dieser war er ein retter der welt. james bond handelte letztlich immer im auftrag eines übervaters oder einer übermutter, beziehungsweise seiner regierung, wenn er sich auch gewisse eigenständige eskapaden erlaubte – kleine sünden, die von seinen auftraggebern mit einverständigem lächeln toleriert wurden. er handelte zur ehre seiner auftraggeber und erhielt jedesmal als belohnung ein stückchen glück in form sexueller lust-befriedigung. obschon sie nur im hintergrund agierten, wäre james bond ohne seine auftraggeber völlig hilflos gewesen. seine hauptwaffen waren nicht worte, sondern seine aktionen, seine agilität und mobilität, das immer überlegene lächeln. er reiste weit herum, nicht zu fuss, sondern in und auf allerlei modernsten gefährten. 007 war immer in gefahr vom gegnerischen weltreich ausgeschaltet zu werden. er überlebte aber immer, da er rein dieseitig existierte und kein jenseitiges reich im hintergrund hatte. sein tod hätte ihn vollständig ausgelöscht. der gegner war immer abgrundtief böse und wollte die welt zerstören. james bond redete nicht er handelte. er vollbrachte allerlei wunder, dank seinen technischen und wissenschaftlichen wundermitteln (häufig frisierte alltagsgegenstände wie kulis, uhren, autos etc..) sowie dank seinen körperlichen oder intellektuellen fähigkeiten und einer portion glücklicher zufälle. es gab nur das dieseits, wenn es auch in der cinéastisch verzerrten form erschien. es existierte keinerlei geistiges prinzip, nur die intelligenz der wissenschafter, die auch nicht ganz ernst genommen wurde. die technik war ein selbstständiger wert, woher sie kam, wer sie produzierte war unwichtig.
er versuchte die james bond-film eindrücke nochmals zusammenzufassen:
technik kann wunder bewirken! statt handlungsvorschriften, handlungen um jeden preis! bitte weiterhin gut bleiben und auf der seite der guten kämpfen, das heisst immer bei uns, jedenfalls im westen! haltet euch, auch als schein selbständige immer an eure auftraggeber. das jenseitige paradis gibt es zwar nicht, aber ihr seid ja immer auf der seite der gewinner und übermorgen nach der arbeit ein kühler drink und ein bisschen sex mit einem willigen objekt ist ja auch ganz schön! zur not wenigstens, mehr liegt sowieso nicht drin oder seht ihr eine andere möglichkeit? wir sehen jedenfalls nichts, die realität ist flach wie eine kinoleinwand; wenn ihr die glänzende folie abzieht ist nur dreck darunter.
er nippte wieder ein wenig an seinem kaffee. im fernseher der bar hatte der fussball-match begonnen.

Quelle: lorenzehrismann.com

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