Die Maske
Hans schloss die Wohnungstür auf und stand im Treppenhaus. Es war noch dunkel und er tastete nach dem Lichtschalter bis mit einem geräuschvollen Klicken das kahle, leicht muffige Treppenhaus in helles Licht getaucht war. Noch unsicher auf den Beinen ging er nahe an der Wand die zwei Stockwerke ins Parterre hinunter. Der Lift lohnte sich nicht − bis die Kabine da war, ging es eine Ewigkeit. Unten roch es nach Katzenpisse, was kein Wunder war bei all den Katzen im Haus; auf jeden Kopf kamen drei Katzen oder so, dachte er. Unten war offen, es war also schon jemand vor ihm zur Arbeit aufgebrochen. Mit der Mappe an der Hand machte er sich auf zur einige Gehminuten entfernte Busstation. Er nahm die wenigen Steinstufen hoch zum Gehweg, der am Altersheim vorbei zur Quartiersstrasse führte. Er schwankte leicht. Sass eine der Stufen nicht mehr fest? Egal, weiter. Auch der Kiesweg fühlte sich seltsam an, er rutschte mit den Schuhen immer wieder ab und kam nicht richtig vorwärts. Als ob er im weichen Sand waten müsste. Er erreichte endlich das feste Troittoir. Hier schienen allerdings seine Schuhsohlen wie an heissem Teer kleben zu bleiben und er kam wieder nur mühsam vorwärts.
An der Busstation stand das übliche Häuflein, alle maskiert, denn seit drei Wochen war OP-Maske Pflicht. Er kramte seinen Mundschutz aus der Mappe, spannte sich die Gummizüge um die Ohren und wurde Teil des Häufleins. Wenigstens musste er sich um seinen allfälligen schlechten Mundgeruch weniger Sorgen machen. Früher wurde noch das eine oder andere Wort miteinander gewechselt, doch schon mit dem Aufkommen des Handy hatte das abgenommen und mit Maske vor dem Mund hatte man endgültig die Lust am Austausch verloren. Im Bus plätscherte die Stimme mit den Sicherheitsanweisungen und am Info-Bildschirm verdeutlichten Bild- und Textnachrichten den Ernst der Lage. Medien und Regierung waren sich einig: Nur mit strengen Verhaltensvorschriften konnte die Bevölkerung am Leben erhalten werden. Bei Disziplinlosigkeit drohte ihnen allen der Erstickungstod. Statt komatös an der Beatmungsmaschine lieber schwer durch die Maske atmen, dachte Hans.
Wegen der Epidemie hatte sein Betrieb alles neu organisieren müssen. Seine bisherigen Aufgaben wurden im Moment nicht mehr gebraucht, neue waren noch nicht gefunden. Er hatte also Zeit, eigene Ideen zu verfolgen. Anders als viele seiner Kollegen und Kolleginnen, hielt er es zu hause im Heimbüro nur selten aus und wagte sich trotz der Unannehmlichkeiten ins Büro. Ins richtige Büro am Firmensitz. Leider ein Grossraumbüro, gerade in Pandemie-Zeiten problematisch, aber eben, es getrauten sich sowieso nur wenige hin.
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